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Soziales Modell, Menschenrechte, Inklusion

Das soziale Modell von Behinderung

"Ich bin nicht behindert - ich werde behindert." Hinter dieser Aussage steht eine veränderte Sicht auf Behinderung. "Behinderung" ist nicht die Tatsache, dass jemand nicht laufen, hören oder sehen kann. Sondern: 

  • Eine Behinderung entsteht dadurch, dass es keine stufenlosen Eingänge und keine Aufzüge gibt (oder diese defekt sind und lange nicht repariert werden): So kommen Menschen im Rollstuhl nicht überall hin und rein. 
  • Eine Behinderung entsteht dadurch, dass es für gehörlose Menschen keine Gebärdensprachdolmetscher gibt, so dass sie nicht an Veranstaltungen teilnehmen können. 
  • Eine Behinderung entsteht dadurch, dass Internetseiten Barrieren haben, weil man beim Programmieren nicht daran denkt, die Webseite so zu gestalten, dass blinde Menschen sie sich anhören oder über eine Braille-Zeile ertasten können.

Diese veränderte Sicht nennt man das "soziale Modell von Behinderung". Das Modell sagt:

  • Eine Behinderung entsteht durch Barrieren in der Umwelt. Diese ist meistens so gebaut oder eingerichtet, dass nur Menschen, die laufen, hören, sehen oder lesen können, überall hin- und alles mitbekommen können.  
  • Weil die Umwelt die Ursache der Behinderung ist, ist es auch die Aufgabe der Gesellschaft, diese Umwelt-Barrieren abzubauen. Sie muss daran denken, wie Menschen mit Behinderungen sich bewegen oder was sie brauchen, um sich informieren oder kommunizieren zu können.
  • Zum Beispiel: Indem Aufzüge oder Rampen gebaut werden. Oder indem Untertitel für Filme oder Texte in Leichter Sprache erstellt werden.

 

Im Gegensatz: Das medizinische Modell von Behinderung

Früher herrschte eine andere Sicht vor:

  • Als Ursache der Behinderung wurde die körperliche oder geistige Abweichung von einem "Normalzustand" angesehen. Es ist die Aufgabe der behinderten Person selbst, sich dieser Norm wieder anzunähern: Zum Beispiel, indem man sich therapieren oder operieren lässt. Fachleute wissen in der "medizinischen Perspektive" auch am besten, was für behinderte Menschen gut ist - nicht sie selbst.
  • Wenn eine Norm-Angleichung nicht möglich ist, ist ein Platz abseits der "normalen" Menschen vorgesehen: Zum Beispiel in einer Förderschule (die früher Sonder-Schule hieß), in einer Werkstätte oder in einem Wohnheim. An diesem Platz wird für den behinderten Menschen gesorgt, aber er darf nicht selbst entscheiden, wie er leben möchte.
  • In dieser Sicht ist die behinderte Person also keine selbstbestimmte Person, die für ihre Rechte kämpft - sondern hat vor allem dankbar zu sein, für das, was die Gesellschaft ihr gewährt. Behinderte Menschen sind nicht Menschen auf Augenhöhe mit gleichen Rechten, sondern "anders".

Wer hat’s erfunden?

Das soziale Modell von Behinderung - und die mit diesem Modell verbunden andere Sichtweise auf Menschen mit Behinderung - wurde zuerst in den 1980er Jahren an Universitäten in Großbritannien und den USA beschrieben. Hier entstand auch die Forschungsrichtung Disability Studies. Das ist eine Sozialwissenschaft, die aus der Bewegung für die Rechte von Menschen mit Behinderung hervorgegangen ist. Vergleichen kann man das mit der Frauenrechtsbewegung und den Gender Studies, die daraus entstanden sind.

Die Behindertenrechtsbewegung

Die Behindertenrechtsbewegung entstand im Zusammenhang mit anderen Bürgerbewegungen, die für die Rechte bestimmter Teile einer Gesellschaft kämpften. Zum Beispiel für die Rechte von Frauen, von schwarzen oder von homosexuellen Menschen. Menschen mit Behinderungen waren damals, weil es keine Barrierefreiheit gab, praktisch vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Dafür kämpft die Behindertenrechtsbewegung: 

  • Barrierefreiheit bei Verkehrsmitteln, in der Öffentlichkeit, bei Wohnungen, im Internet.
  • Menschen mit Behinderung sind Teil der Gesellschaft wie alle anderen: Schulen sollen inklusiv sein und bei Bedarf muss es Assistenz geben, um selbständig zu arbeiten und zu wohnen.
  • Alle Menschen dürfen wählen
  • Niemand darf gezwungen werden, auf eine Förderschule zu gehen, in einem Wohnheim zu leben oder in einer Werkstätte zu arbeiten. 
  • Menschen mit Behinderung werden wie alle anderen Menschen wahrgenommen und respektiert. Manche Filmen und Zeitungsartikel werden daher kritisiert, weil Menschen mit Behinderung darin nicht ernst genommen werden.

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN)

In der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen steht zum Beispiel: 

  • Inklusion ist ein Menschenrecht. 
  • Niemand darf wegen einer Behinderung von der Gesellschaft ausgeschlossen werden.
  • Wenn man Unterstützung - z. B. durch andere Menschen oder Hilfsmittel - braucht, um zur Schule zu gehen, um zu arbeiten oder in der Freizeit unterwegs zu sein, dann muss man diese Unterstützung bekommen. 

Ohne das soziale Modell von Behinderung, die veränderte Sicht auf Menschen mit Behinderung und die Behindertenrechtsbewegung hätte es diese wichtige Konvention nicht gegeben. Vertreter*innen der Behindertenrechtsbewegung saßen am Tisch der Vereinten Nationen (UN) und haben ihre Forderungen in die Konvention mit eingebracht. Denn Menschen mit Behinderung sind Expert*innen für sich selbst und wissen selbst am besten, was gut für sie ist: "Nichts ohne uns über uns!"

Das Ziel: Eine inklusive Gesellschaft

Früher waren Menschen mit Behinderung häufig ausgeschlossen (Exklusion). Mittlerweile gehören sie zwar immer mehr dazu. Wenn sie mitmachen möchten, müssen sie sich aber an die Mehrheitsgesellschaft anpassen (Integration).

Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention ist eine inklusive Gesellschaft: In so einer Gesellschaft würde nicht mehr zwischen behindert und nicht-behindert unterschieden werden. Behinderung wäre nur ein Merkmal menschlicher Vielfalt unter anderen (wie Hautfarbe oder Religion). Vielfalt wird als Bereicherung geschätzt. Jede Person bekommt die Hilfen, die sie braucht, um selbstbestimmt teilzuhaben.

Doch wie sieht die Wirklichkeit 2019 aus - zehn Jahre, nachdem Deutschland die Behindertenrechtskonvention unterschrieben hat? Einiges wurde erreicht, viel muss noch getan werden:

  • Es gibt immer mehr Schüler*innen mit Förderbedarf in Regelschulen. Aber die Zahl von Schüler*innen an Förderschulen sinkt nicht in gleicher Zahl. 
  • Wenn man arbeitet, bekommt man Hilfsmittel und Assistententen bezahlt (z. B. einen Computer für Blinde oder Gebärdendolmetscher). Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten, schaffen es aber ganz selten, einen Arbeitsplatz auf dem 1. Arbeitsmarkt zu bekommen.
  • Es gibt zu wenig barrierefreie Wohnungen und manchmal muss man kämpfen, damit genug Assistenten bezahlt werden, um alleine in einer Wohnung zu leben.

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